Wie oft ist dir mindestens eine der folgenden Unerfreulichkeiten schon passiert?
- In einem wirklich unpassenden Moment ist der Handy-Akku leer.
- Ein wichtiger oder spannender Gedanke geht verloren, weil du nichts zum Schreiben hattest.
- Ein plötzlicher Regenguss durchnässt deine Kleidung und deinen Rucksack.
Mir ist all das schon unzählige Male widerfahren – und immer wieder ist es ärgerlich. Vor allem deshalb, weil es so leicht vermeidbar wäre.
Ich lade dich ein, mir in ein rabbit hole1 zu folgen, das ich vor einiger Zeit für mich entdeckt habe und jedem ans Herz legen möchte: Das Thema Everyday Carry.
Werkzeuge für den Alltag
Everyday Carry ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Frage, welche Utensilien man tagtäglich griff- und einsatzbereit haben muss oder möchte.
Im englischsprachigen Raum, aus dem auch der Begriff Everyday Carry (abgekürzt: EDC, zu Deutsch etwa „Täglich Mitgeführtes“) stammt, hat sich rund um diese eigentlich pragmatische Thematik ein ganzer Lebensstil herausgebildet – komplett mit Influencern, auf Hochglanz polierten Instagram-Profilen, fragwürdigen must-haves2 und überteuerten Statussymbolen3.
Das ist natürlich alles nicht nötig. Mit drei Schritten lässt sich eine geldbeutelschonende Minimal-Ausstattung realisieren:
Identifiziere deinen persönlichen Bedarf: Häufige Probleme, Ärgernisse etc.
Statte dich mit den günstigsten, einfachsten, transportabelsten Tools dafür aus.
Ersetze nur Unzureichendes mit einem höherwertigeren Produkt.
Warum über EDC nachdenken?
Jeder von uns greift beim morgendlichen Verlassen des Hauses diverse Gegenstände und meist mindestens ein Gepäckstück. Tadaaah: Deine tägliche Ausrüstung.
Aber: Wirklich systematisch denken wir über unsere Ausstattung nur in bestimmten Kontexten nach. Der Kinderwagen, die Satteltaschen am Fahrrad oder der Rucksack für die Flugreise werden gewissenhaft gepackt.
Ich meine: Genauso sollten wir auch und gerade über die Utensilien nachdenken, die man ständig griffbereit haben könnte.
Aus meiner Sicht sprechen hauptsächlich drei Gründe dafür:
Alltagsherausforderungen
Der offensichtlichste Grund ist schon in der Einleitung angeklungen: Unser Alltag ist voller kleiner und größerer Zwischenfälle, die meist lustig oder harmlos, oft aber auch sehr ärgerlich und störend sind.
Ein kompakter Regenschirm, ein paar Ersatzbatterien oder ein Reservekabel im Rucksack können aus einem doch nicht einen doch noch gelungenen Tag machen.
Ich persönlich habe z.B. immer mindestens ein kleines Notizheft und zwei Stifte dabei, weil ich ständig Sachquellen konsumiere: Ich lese Artikel und Bücher, höre Podcasts und Hörbücher, schaue Dokumentationen oder YouTube-Videos an. Außerdem denke ich selbst über diverse Themen nach – nicht zuletzt in Vorbereitung auf die nächsten Ausgaben dieses Newsletters.
Aber die besten Ideen – sowohl eigene als auch fremde – nützen nichts, wenn ich sie nicht festhalten und weiter mit ihnen arbeiten kann. Insbesondere eigene spannende Gedanken haben die unerfreuliche Angewohnheit, ausgerechnet dann aus dem Gehirn zu fallen, wenn man gerade etwas ganz anderes tut (siehe shower thoughts). Ergo: Griffbereites Schreibzeug.
In diese Kategorie fallen aber auch die Regenjacke in meinem Rucksack sowie die Gegenstände, die ich im nächsten Absatz aufzähle.
Anderen helfen können
Nicht nur man selbst profitiert von einem umsichtig gepackten EDC kit4 oder Rucksack – man kann damit regelmäßig auch weniger gut vorbereiteten Kollegen, Alltagsbegleitern oder Fremden aus der Patsche helfen. Die Stifte, das Multitool, das Ladegerät, die Powerbank, das Reisebesteck und die Taschenlampe aus meinem EDC verleihe ich fast so oft, wie ich sie selbst benutze.
Das sollte nicht die Auswahl der mitgeführten Utensilien beeinflussen – das eigene EDC-Paket wird um persönliche Bedarfe herum gestrickt. Aber es ist durchaus ein Grund, sich überhaupt bewusst mit dem eigenen Gepäck zu beschäftigen.
Mit den Gegenständen, die in die ersten beiden Kategorien fallen, habe ich eine interessante Beobachtung gemacht: Hat man erstmal ein Multitool, ein Taschenmesser, eine Taschenlampe oder das kleine Notizbuch dabei, fallen im Alltag plötzlich zahlreiche Gelegenheiten auf, sie zu benutzen. Wo man sich vorher womöglich geärgert oder mit den Schultern gezuckt und um das Problem herum-improvisiert hätte, hat man nun eine Lösung griffbereit.
Alltags-Heldentum
Meine eigene EDC-Philosophie umfasst neben dem Umgang mit alltäglichen Ärgernissen noch einen weiteren Aspekt: Die verhältnismäßige Vorbereitung auf besonders schwerwiegende Szenarien.
Das betrifft in erster Linie das Mitführen von Material zur Ersten Hilfe: Was im Auto offensichtlich sinnvoll ist, ist es aus meiner Sicht auch zu Fuß. Man denke an Verletzungen durch Stürze, Unfälle aller Art oder Hundebisse. Ein paar Verbandspäckchen, sterile Kompressen oder ein Tourniquet können den Unterschied ausmachen zwischen souveränem Helfen in einer brenzligen Situation oder ohnmächtigem Notruf-Wählen und Hoffen.5
Aber auch das Handy samt Powerbank halte ich unter diesem Aspekt für besonders wichtig, um sich orientieren und Hilfe organisieren zu können.
Dazu kommen in meinem besonderen Fall ein paar Utensilien, die mir die Bewältigung polizeilicher Lagen erleichtern bzw. ermöglichen.6
Die Alltagsausstattung ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Wen es interessiert: Anlässlich dieses Newsletters habe ich auf meinem Blog meine derzeitige EDC-Ausstattung aufgelistet.
Natürlich kann man es – wie bei eigentlich allem – auch beim Thema EDC viel zu weit treiben. Man kann sehr viel Geld für Schnickschnack ausgeben, ständig dem neuesten Trend hinterhereifern und sich weit von den oben angedeuteten Zielen entfernen. Oder aber man kann in Richtung Prepping abrutschen und den täglichen Arbeitsweg in der S-Bahn mit Kartenmaterial und Kompass, Feuerstein und Wasserfilter im Rucksack absolvieren.
Die eigentliche EDC-Magie geschieht in der Schnittmenge zwischen besonders häufigen und/oder gravierenden Alltagsproblemen einerseits und besonders hilfreichen und transportablen Utensilien andererseits.
Der YouTuber Zac In The Wild hat dazu einen tollen Leitgedanken formuliert:
"Führe mit, was du benutzt, und benutze, was du mitführst."
Die eigene Alltagsausstattung sollte all das umfassen, was man entweder regelmäßig braucht und benutzt oder – das ist meine eigene Ergänzung – was einen in vernünftigem Maße auf besonders gravierende Momente etwas besser vorbereitet.
Für die Uneingeweihten: Mit der englischen Vokabel für den „Kaninchenbau“ werden Themen bezeichnet, in die man sich oft unverhältnismäßig weit vertiefen kann – von Tipps und Tricks für das eigene Hobby bis hin zu Verschwörungstheorien. YouTube ist das digitale Epizentrum für rabbit holes.
Beispiele: Stofftaschentücher, Paracord-Armbänder oder Mini-Hebelwerkzeuge.
Beispiele: Hunderte Euro teure Taschenmesser oder Kugelschreiber.
So bezeichnet der internationale EDC-Nerd eine kleine Tasche mit Ausrüstung, die fertig gepackt in ein Gepäckstück, ins Auto oder auf die Werkbank gelegt werden kann.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass zum EDC-Thema auch der kompetente Umgang mit der mitgeführten Ausstattung gehört. Was man nicht beherrscht, sollte man nicht benutzen und auch nicht dabeihaben.
Als Polizist bin ich verpflichtet, bei bestimmten schwerwiegenden Sachverhalten auch außerhalb meiner Dienstzeit polizeilich tätig zu werden. Hier kommen rechtliche Aspekte wie das Legalitätsprinzip und die Garantenstellung von Polizeibeamten mit einer berufsethischen Selbstverpflichtung zusammen, die jeder Polizeibeamte mit sich selbst ausdiskutieren muss. Dieser Verpflichtung kann ich nur nachkommen, wenn ich in solchen Fällen dann auch in der Lage bin, die jeweilige Situation zu lösen – und das hängt neben meiner Fitness und meinem Trainingsstand vor allem von meiner Ausstattung ab.