weiterdenken #15
Existenzielle FOMO überdenken | Aufmerksamkeit
Existenzielle FOMO überdenken
Die Angst vor dem Verpass(t)en
Für Menschen, die gern lesen oder lernen, ist jeder Buchladen, jede Bibliothek ein Paradies - und zugleich eine schmerzhafte Erinnerung daran, wie viel mehr Bücher als Zeit zum Lesen es gibt.
Hat man Freude am Bereisen fremder Länder, ist die Liste sehenswerter Orte scheinbar unendlich lang - was zugleich eine wunderbare und ernüchternde Erkenntnis sein kann.
FOMO (Fear Of Missing Out, übersetzt etwa: Angst, etwas zu verpassen) ist der ständige Begleiter vieler Menschen, die mindestens eine von zwei universellen Wahrheiten verinnerlicht haben:
Unsere Lebenszeit ist erschreckend endlich.
Eine Entscheidung für eine Aktivität immer auch eine Entscheidung gegen unzählige andere.
Aus diesen Einsichten kann eine alltägliche, hilfreiche Art von FOMO erwachsen, die einen zum bewussten Abwägen zwingt:
Welches Buch lese ich als nächstes?
Wo verbringen wir den nächsten Urlaub?
Kaufen wir dieses Haus oder hoffen wir, dass bald noch ein besseres Angebot verfügbar wird? (Das war mein letzter größerer FOMO-Anlass)
Die Auseinandersetzung mit der Unvermeidbarkeit, mit der uns unzählige fantastische Erlebnisse und Aktivitäten entgehen, kann aber auch eine geradezu existenzielle FOMO auslösen.
Die Reaktionen auf eine solche fundamentale Sorge, etwas Entscheidendes zu verpassen (oder schon verpasst zu haben), reicht von der Bucket List voller Aktivitäten, die bis zum soundsovielten Geburtstag erlebt werden sollen, über das sich-neu-Erfinden bis hin zu einer ausgewachsenen "midlife crisis".
Auf der anderen Seite der Angst
FOMO ist manchmal eine echte Plage. Bis auf wenige Ausnahmen (Hochzeit, Geburt des Kindes u.ä.) kann nahezu jeder noch so wunderbare Moment von der Erinnerung, wie viele verlockende Dinge einem gerade entgehen, überschattet werden.
Aber man kann FOMO auch von einer anderen Seite betrachten:
Entscheidungen erlangen durch ihre Endgültigkeit Bedeutung.
Erst dadurch, dass man zugleich diverse andere Möglichkeiten ausschließt, werden unsere Entscheidungen relevant - insbesondere, wenn sie nicht ohne weiteres wieder rückgängig zu machen sind.
So etwas wie "wichtige" oder gar "wegweisende Entscheidungen" - solche, die unseren Lebensweg prägen und in denen unsere fundamentalsten Ansichten zum Ausdruck kommen - gäbe es sonst gar nicht.
Wer beispielsweise eine Lebenspartnerschaft eingeht, wählt bewusst dieses Leben mit dieser Person - wohlwissend, dass damit unzählige andere Leben mit anderen Partner/innen ausgeschlossen sind. Erst dieses gegenseitige Zugeständnis verleiht Langzeitbeziehungen ihren herausragenden Stellenwert.
"Alles, was du je gewollt hast, liegt auf der anderen Seite der Angst." (George Addair)
Dieser Denkanstoß stammt aus Oliver Burkemans wertvollem Buch "4000 Wochen", das ich noch oft zitieren werde.
Ein weiterer hilfreicher Gedanke gegen FOMO stammt aus einer aktuellen Folge des Waking Up-Podcasts:
Eine Welt ohne Gründe für FOMO wäre keinesfalls besser.
Übrigens: In Ausgabe #1 hatte ich - ebenfalls inspiriert von Oliver Burkeman - bereits über ein verwandtes Konzept geschrieben:
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Zitat
Wir sind (nahezu wortwörtlich) die Gesamtheit unserer Erfahrungen - und folglich die Summe der Dinge, denen wir unsere Aufmerksamkeit geschenkt haben.
Der kompetente Umgang mit unserem Fokus ist daher auch unerlässlich, wenn man etwas - irgendwas - an seinem Leben verbessern will.
"The skillful management of attention is the sine qua non of the good life and the key to improving virtually every aspect of your experience." (Winifred Gallagher in "Rapt")
Danke fürs Lesen
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