weiterdenken #59: Informationen vs. Wissen
Im Zeitalter der Informationsflut braucht unser Wissensdurst einen Filter.
Vor einigen Wochen war ich mit drei Kollegen in meinem Auto auf dem Weg zur Arbeit. Wir kamen auf den Benzinverbrauch des großen Familienautos zu sprechen, und der Kollege auf dem Beifahrersitz warf reflexartig einen Blick hinüber auf die Anzeige mit den gefahrenen Kilometern.
Ehrlich erstaunt stellte er fest, dass ich nach der letzten Tankfüllung die TRIP-Anzeige nicht auf Null zurückgesetzt hatte, und fragte, wie ich denn den tatsächlichen Benzinverbrauch nachvollziehen will.
„Gar nicht“, lautet meine Antwort, die seine Verblüffung noch vergrößerte.
„Welchen Unterschied soll das machen?“, fragte ich zurück. „Ich fahre so sparsam, wie ich kann, und wenn der Tank leer ist, fülle ich ihn wieder.“
Ein verständnisloses Kopfschütteln von dem (einige Jahre älteren) Mitfahrer, ein Lacher von den anderen beiden Passagieren, dann wechselten wir das Thema.
Wirklich unnötige Informationen
Erinnerst du dich, als ich dich nach deiner Meinung gefragt habe?
Genau – ich auch nicht.
Es gibt diese Kollegen, diese Bekannten oder Verwandten, die einem wirklich gern ihre Sicht der Dinge mitteilen und zugleich zu der Gruppe von Menschen gehören, deren Sicht der Dinge uns wirklich egal ist.
Vielleicht hören wir uns aus Höflichkeit oder für den Familienfrieden an, was sie zu sagen haben. Aber de facto ist es Zeitverschwendung, wenn von vornherein klar ist, dass wir ihren Äußerungen keinerlei Gewicht zumessen.
Sich vom verschwörungsgläubigen Onkel über die wahren Vorgänge in der deutschen Spitzenpolitik informieren zu lassen, ist ein bisschen wie das Einholen einer zweiten medizinischen Meinung von der Lieblingsfriseurin. Kann man machen, hat aber (hoffentlich) keine Konsequenzen für das eigene Handeln.
Intellektuelle Fettleibigkeit
Der Publizist Gurwinder Bhogal zieht unter dieser Überschrift eine Analogie zwischen unserer evolutionär bedingten Vorliebe für Zucker und für Informationen: Beides war zur Zeit unserer ganzkörperbehaarten Vorfahren selten und wertvoll.
Heutzutage aber haben wir beides im Überfluss – und das erst seit wenigen Jahrzehnten. Wir verfügen aber immer noch über denselben Organismus wie die Jäger und Sammler, die sich nach jeder kalorienreichen Süßspeise verzehrten.
Entsprechend schlecht angepasst sind wir an zu viel Zucker wie auch an eine zu große Informationsflut: Der Kalorienüberschuss führt zu Fettleibigkeit im medizinischen Sinne. Der Informationsüberschuss führt zu Ablenkung und fehlender Fokussierung.
Stelle nur die Fragen, auf die du tatsächlich eine Antwort möchtest, sagt man.
Ich würde mit Blick auf Bhogals Idee von der intellektuellen Fettleibigkeit ergänzen:
Stelle nur die Fragen, deren Beantwortung irgendeine ernsthafte Relevanz hat.
Informiertheit ist nicht Wissen
Etwas pathetisch könnte man sagen:
Ein Unterschied zwischen tatsächlichem Wissen oder gar Weisheit einerseits und bloßer Informiertheit oder Faktenkenntnis andererseits besteht in der Anwendbarkeit oder dem Folgenreichtum der angehäuften Informationen.
Womöglich ist ein gedanklicher „Muss ich das wissen?“-Filter als Fokussierungshilfe daher gleich in zweifacher Hinsicht sinnvoll:
1. Er verbessert den Umgang mit den eigenen Ressourcen und Kapazitäten (bspw. in Hinblick auf Zeit, kognitive Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeit oder Merkfähigkeit).
2. Er sorgt für schnelleres Anwachsen von tatsächlichem Wissen, mit dem sich etwas anfangen lässt.
Was wir unserem Gehirn an Rohmaterial zur Verarbeitung geben, hat erheblichen Einfluss darauf, was wir Kreatives, Kluges oder Originelles produzieren können. Unnötige oder belanglose Informationen nehmen Platz ein, den wir dringend für den spannenden, hilfreichen und inspirierenden Input brauchen, der das Denken überhaupt erst denkenswert machen.